"Lauter, ungesprochene Worte!"

Der Kunstsprecher Bernd Seydel verzaubert mit Worten Unsinn und Sinn

Da tritt einer an, um den ungesprochenen Worten einen Weg zu bahnen. Bernd Seydel, Kunstsprecher und Betreiber einer Mundwerkstadt, ist ein virtuoser Sinnverdreher. Unter Billigsätzen und Sprache als Wegwerfware hat er gegraben: gefunden hat er jene verborgenen Wortkeime der Dichtermenschen, denen ein unzerstörbares Leben eignet. Sie widersetzen sich dem schnellen Gebrauch, dem gierigen Zweck. Sie wollen liebevoll ergriffen werden, um im Be-Griff nicht zu gerinnen. Sie wollen zärtlich eingeflochten werden in das Mund- und Zungenspiel, durchseelt von Atemkraft, so daß dem Zuschauer Hören und Sehen entsteht.

Der Kunstsprecher Bernd Seydel hat sich auf den Weg gemacht, in die Gefilde der ungesprochenen Worte vorzudringen. Mancher Dichter der Gegenwart ist ihm Weg- und Wortgefährte: Hugo Ball, Friedrich Hölderlin, Hans Imhoff, Wolfgang Klähn, Hans Arp und andere. “Aus dem Munde wuchs ihm Spruch um Spruch …” dichtete zu Beginn des Jahrhunderts der vergessene René Nalzer – wohl wissend, daß die Zeit des unbedarften Dichtens hinter ihm liegt.

“Man muß solange mit der Sprache spielen, bis man die Leute an ihrer Seele gepackt hat; dann werden sie sich auch ändern.” Das virtuose Schweigen, das planvolle Verschweigen, das Innig-Worte-Geigen (Otto Nebel), die übermütige Wortakrobatik ist die rechte Art, durch Mundwerkerei ins Wortgeschehen einzugreifen.

Fast 80 Minuten lang führt Seydel seinen akrobatischen Wortereigen vor. Danach weiß der Zuhörer zwar nicht genau, was er da gehört oder verstanden hat, aber er ist sich sicher: Das war es, das war Sprache pur, urkräftig und lebensprall.